Es verfolgt mich überall, ein Wort welches vor 20 Jahren nicht in meinem Wortschatz existierte. Kommunikation als Seminar, als Studiengang, in Stellenanzeigen, es wird seitdem auf allen Kanälen verwendet, nur mit welchem Zweck? Es überschwemmt die Medien und langsam entwickle ich eine Art Allergie. Bis zur ersten Sinnkrise kam ich ganz gut durchs Leben, man mag es kaum glauben, ich konnte direkt mit Menschen sprechen, Alter & Herkunft spielten keine Rolle.
Dies mag teils meiner frühkindlichen ländlichen Sozialkompetenz geschuldet sein, die mangels Angebot die Richtung vorgab, entweder mit sich selbst zu sprechen, oder die Alternative als Gesprächspartner zu wählen. Die Wählerschaft setzte sich aus Menschen zwischen 0 und 99 zusammen, mit all ihren Ecken & Kanten, die mein Leben prägten, im positiven wie auch im negativen. Es war eine harte Schule, diese Art der Kommunikation. Sie war, wie man neudeutsch sagt, authentisch, direkt, lustig manchmal auch barsch, aber äußerst lehrreich.
Als Kind war ich schon fasziniert von Stammtischen, zum Glück durfte ich als Nachbarskind ab und an helfen um als „Aushilfe“ ein paar Getränke von A nach B zu transportieren, den wichtigsten aller Tische bewunderte & beäugte ich jedoch aus einem Sicherheitsabstand, zumal meine 7-jährige Lebenserfahrung wohl noch nicht für einen Stammplatz ausgereicht hätte. Es war wie im Kino, jeden Tag wurde ein neuer Film aufgeführt. Je nachdem welche Herrschaften der örtlichen Prominenz (Pfarrer, Arzt, Bürgermeister, Großgrundbesitzer) auf das buntgemischte Gemeindevolk traf, gepaart mit der eigenen tagesabhängigen Stimmung/Meinung ergaben sich höchst interessante Einblicke in das Seelenleben der Einzelnen und oder der Gemeinde.
Wie in jeder Beziehung konnte stundenlang geschwiegen, gestritten, debattiert und gelacht werden, im besten Falle war alles vertreten! Meine Karriere als aktive Stammtischaktivistin startete mehr oder weniger mit meiner Volljährigkeit. Unter dem Vorwand eine Frauenfußballmannschaft zu gründen, wagten wir den Schritt unser Recht auf einen eigenen Stammtisch im hiesigen Wirtshaus zu beanspruchen! Eine Welle der Empörung zog durch die Gemeinde. Stoische Sturheit, die auch durch die Häme der Platzhirsche nicht gebrochen werden konnte, sicherte uns langsam einen Platz an der Sonne. Nach und nach wurden wir geduldet, nach längerer Gewöhnung akzeptiert!
Sie fragen sich nun, was das alles mit der Rettung der Welt, oder tragen wir weniger dick auf, mit der Rettung der Gesellschaft zu tun hat? Diese Stammtischbesuche waren für mich eine wichtige Lebensschule. Es war ein Potpourri an Charakteren, Generationen und Gesellschaftsschichten, die einen herausforderten, lehrten, halfen und durch Diskussionen auch wieder auf sich selbst zurückwarfen, besser kann man Sozialkompetenz nicht erlernen. Es ist nichts für schwache Gemüter, aber dieser direkte Austausch miteinander, egal ob man einer Meinung war oder sich gerade in parallel Universen befand, es war direkt, ehrlich und man konnte nicht fliehen, irgendwann traf man im kleinen Universum der Gemeinde wieder aufeinander.
In der heutigen Zeit wird man verführt sich vor allem Gleichgesinnte zu suchen, die eh die eigene Meinung teilen, was aber die Gefahr birgt, nicht mehr offen zu sein für andere Lebensentwürfe und Meinungen. Offenheit & Zeit fordert der Austausch mit anders Denkenden. Wir flüchten in Sicherheitsbereich unseres eigenen Horizonts, teils in den Dschungel der digitalen Welt, aber übersehen die Gefahr, dass wir unser Schwarz-Weiß-Denken dadurch fördern. Kommunikation findet gefühlt 24-Stunden am Tag statt, wir gaffen bei Instagram und googlen unser Wissen, aber wie groß ist der Anteil wichtiger Inhalte noch?
Hat sich unsere Kommunikation verwässert? Je mehr wir uns mit Gleichgesinnten beschäftigen, umso verkrusteter werden wir für andere Sichtweisen. Der Zeitgeist, der Emotionen vor Sachverhalte stellt, flankiert von der Politischen Korrektheit, dem Wunsch nach eigener Perfektion sowie dem Streben nach Effektivität gibt dem Ganzen noch zusätzlich Schubkraft. Wir sind Weltmeister der Fachidioten, beruflich wie privat, und somit auch Weltmeister im Separieren. Egal ob die Zeitschrift für die Frau ab 40, mit Hund aber ohne Kinder. Restaurants nur für Veganer, Seniorenheime nur für Schwule und Lesben. Fachärzte wohin das Auge schweift, aber immer weniger Hausärzte die den Gesamtüberblick haben. Nachrichten lassen sich via App nach persönlichen Vorlieben filtern, das alles mag das Leben vermeintlich erleichtern, nur wie verändert es unseren Blick auf die Realität?
Je mehr Stammtische, Vereinsarbeit o. ä. verloren gehen, umso mehr geht ein Stück Redekultur unter. Wir quetschen die Mitte der Gesellschaft an die Ränder oder leiten Sie in Nischen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, wir brauchen wieder mehr Mut unsere Risse zu heilen. Stellen Sie sich vor, sie müssten mit einem Klon ihrer selbst 4 Wochen zusammenleben, völlig abgeschnitten von der Außenwelt, allein die Vorstellung lässt sicherlich die Bereitschaft steigen, wieder mehr die Vielfalt ihrer Umgebung zu schätzen!
Da der natürliche Lebensraum des Stammtisches ebenso vom Aussterben bedroht ist, gilt es umso mehr Sie dort zu retten, wo noch Wirtshäuser, Kneipen, oder Restaurants beheimatet sind, das erfordert von der Gegenseite allerdings auch die Bereitschaft diese Klientel nicht rein nach Wirtschaftlichkeit zu betrachten. Der Kreativität sind aber keine Grenzen gesetzt, „pflanzen“ sie neue Stammtische aller Art egal in welchen Räumlichkeiten, ob zu Hause oder Outdoor, die Gesellschaft wird es Ihnen danken, irgendwann. Sehen Sie es als nachhaltige sozial vielfältige Blumenwiese, die Bienen lassen grüßen!